12. Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte

12. Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.11.2019 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Janina Barth, Geschäftsstelle, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.

Unter der Fragestellung „Neue Medien, neues Marketing? Marketing im Zeichen von Digitalisierung und neuer Kommunikation“ fand die 12. Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte am 29. November 2019 im Hause der Sartorius AG in Göttingen statt. In seiner Einführung betonte INGO KÖHLER (Berlin), im Laufe der Geschichte seien immer wieder „neue Medien“ aufgekommen, an die sich die Werbe- und Marketingstrategien von Unternehmen hätten anpassen müssen. Als Beispiel nannte er die umwälzenden Veränderungen im Zuge der Etablierung des Radiogeräts und später des Fernsehers in Privathaushalten und sprach in diesem Zusammenhang von einer „Koevolution der Techniken des Marketings und den Arenen, in denen Marketing operiere“. Mit Blick auf die Digitalisierung verwies er auch auf die neue Dimension von Marktforschung, die sich aus der Fülle an Daten, die Kunden im Internet hinterlassen, ergebe. CHRISTIAN KLEINSCHMIDT (Marburg) betonte zudem, dass zur Wirkung neuer Medien auf das Marketing aus unternehmenshistorischer Perspektive bislang kaum Forschungsarbeiten vorlägen. Dadurch sei es einerseits schwer gewesen, Beiträge und Referenten zur Sitzung zu finden, andererseits zeuge dies einmal mehr vom innovativen Charakter des Arbeitskreises.

PHILIPP MOSMANN (Göttingen) widmete sich in seinem Vortrag sodann der „Sharing Economy“ und dabei insbesondere dem Konzept der „Community“ als ihrem organisationalen Kern. „Sharing Economy“ bezeichne ein Wirtschaftssystem, das auf dem Teilen und Leihen nicht abgerufener Ressourcen beruhe und dessen Basis die gemeinschaftliche Ressourcennutzung sei. Im Zentrum des Geschäftsmodells stehe die „Community“, definiert als eine lose verbundene heterogene Gruppe von Akteuren, die sich auf freiwilliger Basis aufgrund gemeinsamer Interessen zusammenschließen. Mosmann wählte bewusst eine abstrakte Definition, weil Sharing-Economy-Modelle in unterschiedlichsten Bereichen – von Logistik über den medizinischen Bereich bis zur Freizeitgestaltung – operieren würden. Zwar seien die „Communities“ eng mit der Organisation verknüpft (so ergibt sich aus dem Organisationszweck überhaupt erst ein Zweck für die Gemeinschaft), umgekehrt seien jedoch auch die Unternehmen immer von der „Community“ abhängig. Aus der Freiwilligkeit und Fragilität der „Community“ ergäbe sich eine ständige Unsicherheit auf Seiten der Unternehmen. Dem würden Unternehmen mit Maßnahmen zur stärkeren psychosozialen Bindung der Community („sense of community“) und der Schaffung von Rollen und Hierarchien („governance of community“) begegnen. Als eines der dafür entwickelten Instrumente nannte Mosmann das der „Gamification“. Über spielerische Elemente werde so z.B. eine Anreizstruktur zu kontinuierlichem Engagement geschaffen.

Unter Verweis auf das Konzept der Dorfgemeinschaft, in der beispielsweise Landflächen gemeinsam genutzt worden seien, zeichnete Mosmann nach, dass die „Sharing Economy“ als solche kein neues Phänomen ist. „Governance“ sei in der Dorfgemeinschaft jedoch aufgrund starker sozialer Kontrolle kein nennenswerter Faktor gewesen. Bei heutigen „Sharing Economies“ sei dies insbesondere aufgrund der hohen Anonymität bei der Nutzung von Angeboten wie Airbnb, Blabla-Car oder Foodsharing wichtiger. Die Frage, ob sich der aktuelle Boom von „Sharing Economies“ als Gegenreaktion auf die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft verstehen lasse, beantwortete Mosmann mit nein. Wegen des freiwilligen Charakters und der Möglichkeit, jederzeit austreten zu können, versteht er das Community-Konzept vielmehr als Teil der Individualisierung.

Im zweiten Beitrag skizzierte FABIAN ENGEL (Aachen), wie die Sparkassen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen, sich dem Thema Marketing und Kommunikation zu öffnen und welche Rolle dabei technische Innovationen und neue Medien gespielt haben. Dabei hob er zunächst die Besonderheit des Bankprodukts hervor, das er aufgrund des immateriellen und abstrakten Charakters als „Vertrauensprodukt“ bezeichnete. In der Marketingstrategie der Banken sei deshalb von Beginn an das eigene Image der zentrale Faktor gewesen. Als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Vermarktungsstrategien bei den Sparkassen nannte Engel die Entwicklungen in den 1960er-Jahren: Mit dem Wegfall der Bedürfnisprüfung 1958 setzte bei den Sparkassen ein Zweigstellenboom ein. Hinzu kam eine Explosion der Geschäftsvorgänge, vor allem ausgelöst durch die Neuerung von Arbeitgeberseite, Gehälter zu überweisen statt der bis dahin üblichen Ausgabe von Lohntüten. Daraus habe sich ein enormer Arbeits- und Kostendruck ergeben, der aufgrund großer Konkurrenz und staatlicher Regulierung der Kontogebühren zu Rationalisierungsbestrebungen im Bankoffice geführt habe. Die Einführung technischer Neuerungen wie der Lochkarte fallen in diesen Begründungszusammenhang. Eine weitere Umgangsform sei die zunehmende „Selbstbedienung“ in Form von Geldautomaten gewesen. In diesem Bereich seien die Sparkassen ebenso führend gewesen wie bei der 1969 aufkommenden computergestützten Anlageberatung. Dadurch konnten vor allem junge Kunden gewonnen werden und die so erhobenen Daten zu Marktforschungszwecken genutzt werden. Marktforschungsergebnisse seien für die Werbe- und Produktentwicklung der Sparkassen generell richtungsweisend gewesen. Beispielsweise wurde Anfang der 1970er-Jahre eine Studie zum Geldverhalten der Sparkassenkunden in Auftrag gegeben, in deren Folge das sogenannte „Konto Bequemlichkeit“ entwickelt wurde. In ihm wurden ein „Wunschbuch“ für kurzfristige Ausgaben, ein Konto für regelmäßige Einzahlungen und Ausgaben sowie die Geldanlage kombiniert. Ebenso gelang es den Sparkassen, ihr Erscheinungsbild sowie ihre Abläufe insoweit zu vereinheitlichen, als dass der Kunde heute kaum Unterschiede zwischen den einzelnen Sparkassen bemerke. Den dazu notwendigen, langwierigen Vereinheitlichungsprozess zeichnete Engel ebenfalls nach: Bereits in den 1930er-Jahren lassen sich erste Bestrebungen feststellen, ein einheitliches Sparkassenlogo zu schaffen. Dennoch sei erst 1972 ein gemeinsames Sparkassendesign durchgesetzt worden. Trotz der Vorreiterrolle im Bereich der Entwicklung und Adaption von digitalen Marketingstrategien in der Vergangenheit, würde den Sparkassen heute ein „rückständiges Image“ zugeschrieben, was Engel vor allem auf ihre kleinteilige Struktur zurückführte.

Im letzten Vortrag gab FLORIAN TRIEBEL (München) Einblicke in seine Erfahrungen im Bereich Unternehmenskommunikation und Marketing bei BMW in Zeiten von neuen Medien und zunehmender Digitalisierung. Er nannte unter anderem die Schnelligkeit neuer Medien sowie die Möglichkeit zur direkten Kommunikation und der Reaktion der Kunden als Charakteristika von Marketing heute. Dies impliziere auch, dass Kampagnen noch während ihrer Laufzeit anhand der Reaktionen und der erhobenen Daten von Seitenbesuchern ausgewertet und angepasst würden. Neu sei zudem, dass Marketingstrategien nicht mehr vom Unternehmen unabhängig umgesetzt werden können. Mit der Kommunikation über Social Media werde vielmehr eine neue Form von Beziehung zum Kunden aufgebaut, die auf Wechselseitigkeit beruhe, weil der Rezipient über die Möglichkeit der Weiterverbreitung von Inhalten oder der kritischen Bewertung selbst Teil des Unternehmensmarketings werde. Das Unternehmen besäße somit kein Monopol für Marketing mehr, sondern werde lediglich zu einem Influencer unter vielen. Mit Blick auf die alltägliche Arbeit der Kommunikationsabteilungen skizzierte Triebel ebenfalls einen Wandel: Neue Medien würden z.B. Echtzeitkommunikation, die über die Arbeitszeiten hinausgingen, und die schnelle Reaktion auch auf brisante Tweets erfordern, weshalb den zuständigen Mitarbeitern immer größere Kompetenzen zugestanden werden müssen. Vor diesem Hintergrund bezeichnete Triebel neue Medien auch als Chance, einerseits für die Demokratisierung von Marken, andererseits für vermehrte Gesprächs- und Austauschmöglichkeiten über Marken in einem öffentlichen Forum.

Die Vorträge führten vor Augen, dass im Zuge der Digitalisierung tatsächlich neue Formen des Marketing entstehen, unter Rückbezug auf Kleinschmidts anfänglichen Einwurf, zeigte sich jedoch zugleich, dass diese Anpassung des Marketings nicht nur für die aktuell zu beobachtende Entwicklung der Nutzung von Social Media und Online-Vermarktung gilt, sondern auch bei der Etablierung technischer Entwicklungen wie des Radiogeräts und des Fernsehers zu beobachten waren.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Christian Kleinschmidt (Marburg)
Ingo Köhler (Berlin)

Vorträge

Philipp Mosmann (Göttingen): Communities in der Sharing Economy: Ihre Bedeutung, Struktur und Steuerung

Fabian Engel (Aachen): Die Sparkassen sehen rot! Die lange Transformation von öffentlichen Einrichtungen zu vertriebsorientierten Finanzdienstleistern

Florian Triebel (München): Unternehmen und „neue Medien“. Beobachtungen aus unternehmenshistorischer Perspektive


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